Factsheet: Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF)
RELEVANZ: Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) ist ein Fonds der Republik Österreich, der sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene für Integrationsangelegenheiten (gesellschaftliche Integration von Minderheiten) zuständig ist. In der Ära von Sebastian Kurz wurde der ÖIF als eine Plattform genutzt, um antimuslimische Ansichten durch Referenten und Berichte zu fördern und damit die antimuslimische Politik der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zu untermauern.
Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) ist nach Eigendarstellung ein „Fonds der Republik Österreich und ein Partner des Bundes in der Integrationsförderung.“ Auf der Website des ÖIF heißt es, dass er 1960 vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und dem österreichischen Bundesministerium für Inneres (BMI) als Reaktion auf die Ungarnkrise 1956 (ein landesweiter Aufstand gegen die Ungarische Volksrepublik und ihre von der Sowjetunion aufgezwungene Politik) gegründet wurde. Die Krise führte zu einer Flüchtlingswelle und erforderte von Österreich den Aufbau eines „institutionellen Rahmens für die Betreuung von Flüchtlingen.“ Der ÖIF arbeitet mit Flüchtlingen, Migranten und Institutionen in den Bereichen Sozialarbeit, Bildung und Integration.
1991 wurde der Fonds aus dem Innenministerium ausgegliedert. 2002 wurde der damalige Flüchtlingsfonds der Vereinten Nationen in ÖIF umbenannt und sein Aufgabenbereich um die Umsetzung der Integrationsvereinbarung erweitert. Das Dokument besagt, dass Zuwanderer, die nach Österreich kommen, Deutsch lernen müssen, um einen Aufenthaltstitel zu erhalten. Ein Bericht der Hilfsorganisation Caritas Österreich aus dem Jahr 2019 stellte fest, dass „Österreichs Anforderungen für den dauerhaften Aufenthalt und den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu den restriktivsten in Europa gehören und ‚die tatsächlichen Bemühungen der Zuwanderer, nach ihren individuellen Fähigkeiten und ihren örtlichen Gegebenheiten an der Gesellschaft teilzunehmen, nicht berücksichtigen‘“. Im August 2020 führte Integrationsministerin Susanne Raab eine verpflichtende Einheit zum Thema Antisemitismus für Flüchtlinge in den Integrationskursen des ÖIF ein, die für die Anerkennung als Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte erforderlich sind. Heute hat der ÖIF in jeder größeren Landeshauptstadt ein Integrationszentrum.
Finanziert wird der ÖIF weitestgehend vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (BMEIA). Laut den Journalisten Christoph Ulbrich und Sebastian Reinfeldt sind fast alle Schlüsselpositionen des ÖIF mit Mitgliedern der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) von Bundeskanzler Sebastian Kurz besetzt. Aus ihrer Sicht bestünde der Aufsichtsrat zur Gänze aus ÖVP-Karrieristen. Die Journalisten meinten zudem: „Die Eintrittskarte für [einen] Job im Fonds ist die Mitgliedschaft in der ÖVP“.
Franz Wolf ist seit 2013 Direktor des ÖIF. Davor war er von 2005-2009 stellvertretender ÖIF-Direktor und von 2011-2012 stellvertretender Büroleiter des Staatssekretärs für Integration, Sebastian Kurz, im Innenministerium. Mitglieder des Aufsichtsrates sind dieser Tage Integrationsministerin Susanne Raab und Außenminister Alexander Schallenberg, die beide der ÖVP angehören. ÖVP-nahe Mitarbeiter wurden vom ÖIF und dem Integrationsministerium angeworben, obwohl sie in geschlossenen WhatsApp-Chats antisemitische Inhalte geteilt haben.
Der ÖIF und das Integrations- und Außenministerium haben mehrere Studien über Muslime in Österreich in Auftrag gegeben und finanziert, die dann von Sebastian Kurz in seiner damaligen Funktion als Integrationsminister der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Die Präsentationen eines Zwischenberichts im November 2015 und eines Abschlussberichts im Februar 2016 mit dem Titel „Evaluation islamischer Kindergärten in Wien“ wurden von Sebastian Kurz in seiner Zeit als Oppositionspolitiker gegen die in Wien regierenden Sozialdemokraten verwendet. Dem Bericht zufolge isolieren und trennen von Muslimen geführte Kindergärten muslimische Kinder von der Gesellschaft. Im September 2017 präsentierte der ÖIF den Bericht „Die Rolle der Moschee im Integrationsprozess“ gemeinsam mit Sebastian Kurz. Die Zusammenfassung der Forschungsergebnisse durch den ÖIF behauptete, Moscheen hätten „fundamentalistische Tendenzen“, lehnten „österreichische Werte“ ab, beinhalteten eine „starke Trennung nach ethnischen Gruppen“ und hätten meist „keinen Platz für Frauen“.
Wie der Politikwissenschaftler Farid Hafez im Islamophobie-Report 2018 zu Österreich argumentiert, „hat die österreichische Bundesregierung Institutionen wie den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) genutzt, um Wissen über das muslimische Andere zu produzieren, um ihre Politik zu legitimieren“. Der Europäische Islamophobiebericht 2017 zeigt, dass „der ÖIF durch seine einseitige Einladungspolitik auffällt“. Dies zeige sich darin, dass der ÖIF regelmäßig antimuslimische Stimmungsmacher einlädt, insbesondere Personen aus Deutschland und der Schweiz. Zu diesen Rednern gehören Ahmad Mansour (Deutschland), Hamed Abdel-Samad (Deutschland), Saïda Keller-Messahli (Schweiz), Seyran Ates (Deutschland), Zana Ramadani (Deutschland), Lorenzo Vidino (USA) und Ilham Manea (Deutschland). Sowohl Mansour war und Manea ist mit dem in Brüssel ansässigen Think Tank European Foundation for Democracy verbunden. Dessen Mitarbeiter haben oftmals die Verschwörung einer Unterwanderung Europas durch die Muslimbruderschaft behauptet.
Im Jänner 2018 organisierte der ÖIF eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Muslime müssen nach den bestehenden Werten und Gesetzen Europas leben“, an dem Mouhanad Khorchide, Nina Scholz, Oliver Henhapel und die damalige Leiterin der Integrationsabteilung im Außenministerium, Susanne Raab, teilnahmen. Khorchide behauptete, dass „in Moscheen … viel zu oft eine einseitige Auslegung des Islam propagiert“ werde „und junge Muslime häufig vor die Wahl (ge)stellt (werden), ein guter Muslim oder ein Europäer zu sein“. Nina Scholz argumentierte: „Es gibt immer wieder Frauen, die sich selbst Feministinnen nennen und die Verschleierung der Frau als weibliche Selbstermächtigung verteidigen. Diese Frauen stehen meist in einem Naheverhältnis zu den konservativen Islamverbänden und zur Muslimbruderschaft und lobbyieren in ihrer Sache.“ Henhapel, Leiter des Kultusamtes, das für das Verhältnis der Republik zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständig ist, lobte das umstrittene Islamgesetz von 2015 mit den Worten: „Mit dem Islamgesetz hat der Staat wichtige Voraussetzungen wie das Verbot der Auslandsfinanzierung geschaffen, damit sich die Religion frei von politischen Einflüssen aus dem Ausland entwickeln kann.“ Das Gesetz wurde weitgehend als diskriminierend gegenüber Muslimen empfunden, weil es sie anders behandelt als Kirchen und andere Religionsgemeinschaften.
Der ÖIF hat zahlreiche Buchgespräche für Schriftsteller organisiert. Im Februar 2020 veranstaltete er eines mit dem französischen Autor Pascal Bruckner, Autor von “Un racisme imaginaire – La Querelle de l’islamophobie” (Ein imaginärer Rassismus – Der Streit um die Islamophobie). Während der Veranstaltung sagte er: „Anstatt sich mit dem Inhalt der vielfach berechtigten Kritik auseinanderzusetzen, wird den Kritikern eine antimuslimische Grundhaltung unterstellt. Wir dürfen uns niemals mit dem Vorwurf der Islamophobie unter Druck setzen und erpressen lassen – einem Wort, das erfunden wurde, um die Kritiker einer Religion mundtot zu machen.“ Im Mai 2018 veranstaltete der ÖIF eine weitere Podiumsdiskussion mit dem Titel „Schule und Islam: Herausforderungen der Integration“ mit der in Berlin lebenden Journalistin Düzen Tekkal. Während der Veranstaltung behauptete Tekkal, dass „Antisemitismus, ethnisch-religiöse Konflikte, Stereotype gegenüber Mitschülern, überforderte Lehrer, die kaum mehr Autorität besitzen und Schüler aus bildungsfernen Schichten mit einem hohen Migrantenanteil“ die Gründe für die mangelnde Integration muslimischer Schülerinnen und Schüler seien.
Im Juni 2018 führte der ÖIF eine Veranstaltung zum Thema „Gleichberechtigung, Islam und Patriarchat“ mit der deutsch-türkischen Juristin und Autorin Seyran Ateş durch. In der Diskussion unterstützte Ateş die staatliche Politik des Kopftuch-Verbots in der Schule (sie sprach sich für ein Verbot für alle Schülerinnen unter 18 Jahren aus) und erklärte: „Wenn man Mädchen ein Kopftuch aufsetzt, nimmt man ihnen die Kindheit und sexualisiert sie. Man drängt sie in die Rolle eines Sexualobjekts und schränkt sie in ihrer Entwicklung ein, das ist für mich Kindesmissbrauch.“ Der ÖIF lud Ateş zu weiteren Vorträgen am 30. Juli und 3. Oktober ein. Bei der vierzehnten Sitzung des Integrationsbeirats im April 2017 war Seyran Ateş eine der Hauptrednerinnen. Bei dem Treffen sprach Ateş über das Thema „Integration von Frauen mit Migrationshintergrund“, warnte vor dem „Einfluss radikaler Moscheevereine“ und forderte die „Förderung eines liberalen Islams“.
Eine weitere oftmalige Gastrednerin des ÖIF ist Elham Manea. Im September 2018 und September 2019 referierte Manea darüber, wie man „Anzeichen von Radikalismus und Extremismus erkennen“ könne. Sie sagte: „Das sichtbarste und erfolgreichste Mittel zur Kontrolle der Frauen ist jedoch das Kopftuch. Damit markieren Islamisten ihr Territorium“. Manea unterstützte das Kopftuch-Verbot der österreichischen Bundesregierung von ÖVP und FPÖ und unterstützte die Position der ÖVP, den „politischen Islam“ zu verbieten.
Viele dieser Autorinnen und Autoren sprechen nicht nur bei ÖIF-Veranstaltungen, sondern schreiben auch regelmäßig für die Publikationen des ÖIF. 2017 schrieb Keller-Messahli einen Beitrag für den ÖIF über den politischen Islam auf dem Balkan, in dem sie fälschlicherweise behauptete, dass „alle Seiten Massaker“ während des jugoslawischen Bürgerkrieges, der in erster Linie ein Völkermord an bosnischen Muslimen war, verübt hätten. Daraufhin kritisierte eine Gruppe von Balkan-Experten Keller-Messahlis Argumente. Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropa-Studien an der Universität Graz, schrieb zu Keller-Messahlis Artikel: „Der Text von Saïda Keller-Messahli über den Balkan-Islam ist von Unkenntnis und Vorurteilen geprägt. Die Autorin hat offensichtlich wenig Wissen zur historischen Entwicklung des Islam auf dem Balkan. Der Text hat nur wenige wissenschaftliche Verweise, ansonsten wird oft auf dubiose Quellen verwiesen, wichtige Aspekte sind ausgelassen, und der bosnische Krieg von 1992 bis 1995 liest sich wie eine Propagandaschrift aus serbischnationalistischer Perspektive“. Ein Artikel in der Schweizer Tageszeitung NZZ merkte an, dass Keller-Messahlis Werk den Eindruck erwecke, sie sei „Missionarin denn … Expertin“, da ihre Schrift viele historisch falsche Aussagen enthalte.
Im September 2017 veröffentlichten Heiko Heinisch, Imet Memedi und ein nicht weiter identifiziertes „et al.“ einen Bericht für den ÖIF mit dem Titel „Die Rolle der Moschee im Integrationsprozess“. In der medialen Berichterstattung über die Studie hieß es, dass von den 16 Moscheen „nur zwei der untersuchten Moscheen aktiv die Integration in die österreichische Gesellschaft“ unterstützen und diese fordern. Zudem heißt es: „In acht der untersuchten Moscheen werde ein Weltbild gepredigt, das klar in Muslime und in “alle anderen” auf der anderen Seite trennt, erklärten die Studienautoren. In sechs Moscheen finde zudem eine dezidierte Abwertung der westlichen Gesellschaft statt. Gemäß diesem Weltbild sei der Glaube nicht dem demokratischen Rechtsstaat untergeordnet, sondern stehe der Koran über den Gesetzen. In der Unterlage heißt es, die Ergebnisse zeigen deutlich, dass es Tendenzen zu einer Abwendung von der demokratischen Weltordnung gibt.“ Nach der Veröffentlichung dieses Berichts organisierte der ÖIF eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Was passiert in Österreichs Moscheen?“ An der Veranstaltung nahmen Heiko Heinisch, Susanne Schröter und Constantin Schreiber, Journalist und Autor des Buches ‚Inside Islam – Was in deutschen Moscheen gepredigt wird‘, teil. In der Diskussion behauptete Heinisch: „In mehr als einem Drittel der von uns untersuchten Moscheen wird der Integration der Gläubigen in die Gesellschaft aktiv entgegengewirkt. Wir finden hier fundamentalistische Tendenzen, offenen Nationalismus und eine Ablehnung der österreichischen Mehrheitsgesellschaft und ihrer Werte. All das hat nichts mit Spiritualität und Religion zu tun – es ist politisch und verhindert die Integration von Muslim/innen in Österreich“. Schröter meinte: „Oft wird hier nur an die muslimische Identität appelliert und das Trennende über das Verbindende gestellt. Dabei ist es entscheidend für das Zusammenleben, dass sich Muslime in erster Linie als Bürger der europäischen Gesellschaft wahrnehmen“.
Der ÖIF lud auch Helmut Pisecky, Leiter der Denkfabrik Mar Adentro e.U., ein, um eine Schulung zum Thema „Anzeichen von Radikalismus und Extremismus erkennen“ zu halten. Pisecky hat einige Beiträge in der Tageszeitung Die Presse veröffentlicht. In einem Beitrag unterstützte er, dass „‘Islamophobie‘ das Kampfvokabular der Islamisten“ sei. Pisecky ist auch der Autor eines Berichts für die Foundation for a Europe of Nations and Freedom (FENF), die offizielle Stiftung der rechtsextremen Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF), die heute unter dem Namen Identität & Demokratie im Europäischen Parlament agiert. In dem Bericht „Shari’ah for Europe?“ argumentierten die Autoren, dass „aus westlicher Sicht islamische Normen eine Form der Diskriminierung von Frauen darstellen und das Prinzip eines Gesetzes für alle verletzen“.
Der ÖIF ist auch transnational vernetzt. Wie bereits erwähnt, sind viele der eingeladenen Referenten mit der European Foundation of Democracy (EFD) verbunden. Einer der ehemaligen Senior Policy Advisors der EFD und jetziger Programmdirektor des Program on Extremism der George Washington University, Lorenzo Vidino, wurde nach Österreich eingeladen und hat Berichte für den ÖIF erstellt. Im August 2017 veröffentlichte das Program on Extremism einen Bericht von Vidino über die Muslimbruderschaft in Österreich, der vom ÖIF mit 80.000 Euro finanziert wurde. Dieser Bericht wurde im Projekt Ballhaus zur Machtübernahme von Sebastian Kurz geplant. Für den Durchsuchungsbefehl in der Operation Luxor, der als Schlag gegen den politischen Islam verkauft wurde, wird dieser Bericht 14 Mal erwähnt. Vidino war zuvor bereits oftmaliger Gast des ÖIF. Am 29. November 2018 fand ein Treffen des Integrationsbeirats des Außenministeriums mit ÖIF-Direktor Franz Wolf statt, bei dem Lorenzo Vidino einen Vortrag zum Thema „Politischer Islam in Österreich“ hielt.
Kurz bevor die österreichische Regierung das Gesichtsschleierverbot einführte, veröffentlichte der ÖIF eine Broschüre, die sich mit dem Thema Gesichtsverschleierung im Islam auseinandersetzt. Zu den Autoren der Broschüre gehörten Keller-Messahli und Ahmad Mansour. Der ÖIF lobte das Gesichtsverschleierungsverbot sowie die Politik des Sebastian Kurz.
Im Juli 2020 kündigte Integrationsministerin Susanne Raab die Einrichtung des Dokumentationsstelle Politischer Islam an. Lisa Fellhofer, die seit 2010 für den ÖIF tätig war, wurde dessen Leiterin. Mouhanad Khorchide von der Universität Münster, ein häufiger Gastredner des ÖIF, wurde Leiter des wissenschaftlichen Beirats gemeinsam mit Vidino als Mitglied. Laut dem Politologen Farid Hafez vom Williams College war dies ein Mittel der Kriminalisierung von Muslimen.
Übersetzt und aktualisiert: 1. Februar 2024