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Factsheet: Operation Luxor

Published on 06 Aug 2024

RELEVANZ: Bei der Operation Luxor handelte es sich um eine groß angelegte Polizeiaktion, an der 940 Beamte beteiligt waren und die am 9. November 2020 in Österreich gegen mehr als 70 Personen und Einrichtungen durchgeführt wurde. Die Regierung behauptete, die Aktion ziele darauf ab, „die Wurzeln des politischen Islams zu kürzen“. Im Jahr 2021 entschied ein österreichisches Höchstgericht, dass die Razzien rechtswidrig waren. In den drei Jahren seit den Razzien wurde nicht eine einzige Person verhaftet oder verurteilt. Dieses „ Lehrbuchbeispiel von Regieren mit Kriminalität und Furcht “ wurde unter Bundeskanzler Sebastian Kurz durchgeführt, der für seine antimuslimische Politik bekannt war.

Am 9. November 2020 führten österreichische Behörden um fünf Uhr morgens in den Bundesländern Wien, Steiermark und Kärnten gleichzeitig Razzien in den Wohnungen und Wohnhäusern von 70 Personen und Institutionen durch. Die Razzien waren Teil eines Ermittlungsverfahrens, das sich auf die Straftatbestände der terroristischen Organisation, der kriminellen Organisation, der staatsfeindlichen Vereinigung, der Terrorismusfinanzierung und der Geldwäsche konzentrierte. Der Terrorismusverdacht richtete sich nicht gegen Aktivitäten in Österreich, sondern im Ausland. Die österreichischen Behörden beschuldigten die Zielpersonen der Beteiligung an terroristischen Straftaten (Mord, Entführung, Sprengstoffanschläge usw.), der Terrorismusfinanzierung und der Geldwäsche mit dem Ziel, islamische Enklaven in Europa zu errichten, das Regime des ägyptischen Präsidenten und Militärgenerals Abdel-Fattah Al-Sisi zu stürzen, die Macht in Ägypten wiederzuerlangen, Israel zu zerstören und ein weltweites Kalifat mit Jerusalem als Hauptstadt zu errichten. Die Razzien erfolgten eine Woche nach einem gewalttätigen Anschlag eines ehemaligen ISIS-Sympathisanten in Wien. Trotz der zeitlichen Nähe zu dem Attentat standen die Razzien in keinem Zusammenhang mit dieser Straftat.

Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) unter dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und dem damaligen Innenminister Karl Nehammer stellte die Razzia als „Schlag gegen den politischen Islam“ dar, der ein wichtiges Wahlkampfthema für Kurz gewesen war. Obwohl sich die Ermittlungen letztlich als ergebnislos herausstellten, wurden sie auf rund 114 Beschuldigte ausgeweitet und entwickelten sich zu einem der größten Gerichtsverfahren der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Die Operation Luxor war nach der Operation Spring, die sich 1999 und 2000 gegen Schwarze richtete, die größte kriminalpolizeiliche Operation im heutigen Österreich.

Der Durchsuchungsbefehl, mit dem die Razzia legitimiert wurde, stützte sich im Wesentlichen auf ein schriftliches Gutachten, das nach der Veröffentlichung eines Berichts erstellt wurde. Das Gutachten wurde von Heiko Heinisch und Nina Scholz verfasst und der Bericht stammt von Lorenzo Vidino. In seiner Analyse des Gutachtens von Heinisch und Scholz argumentierte der österreichische Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger, dass beide „ weder über das fachliche noch das sprachliche Wissen verfügten, um die vom Staatsanwalt gestellten Fragen fachlich kompetent, objektiv und unvoreingenommen zu beantworten“. Er stellte fest, dass die Autoren statt auf seriöse Quellen auf „ tendenziös-islamkritische Webseiten oder Medien zurückgegriffen“ wurde, was zu schwerwiegenden Fehlern führe, da „Organisationen teilweise falsch zugeordnet und Verbindungen zu terroristischen Organisationen behauptet, die nicht nachweisbar sind“. Im Juli 2022 wurden Heinisch und Scholz vom Berufungsgericht, dem Oberlandesgericht Graz, wegen des Verdachts der Befangenheit abberufen.

Vidinos Bericht wurde im Durchsuchungsbefehl 14 Mal erwähnt. In einem Beitrag für die Tageszeitung Standard vom September 2022 erklärte der Journalist Hans Rauscher, dass die Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Anas Schakfeh, aufgrund „völlig frei erfundener“ Behauptungen Vidinos in diesem Bericht eingeleitet wurden. Im Juli 2023 wurde Vidino vom deutschen Spiegel wegen seiner engen Beteiligung an einer von den Vereinigten Arabischen Emiraten bezahlten Hetzkampagne gegen muslimische Verbände kritisiert. Über diese Kampagne berichtete zuerst The New Yorker  im März 2023. Neben der Verwendung von Vidinos Recherchen durch die österreichischen Behörden zur Unterstützung der Razzien diente Vidino auch zweimal als Zeuge für die österreichische Regierung in der Operation Luxor. Später klagten sowohl der Geschäftsmann Hazim Nada wie auch der Politologe Farid Hafez Vidino, das von ihm geleitete Program on Extremism der George Washington University, Alp Services und andere in Milliardenhöhe.

In einem Artikel des Standard vom April 2022 stellte Jan Michael Marchart fest, dass „Monatelang … im Vorfeld der Razzien in großem Stil die Telefone von Beschuldigten überwacht und Gespräche“ von den österreichischen Behörden “abgehört wurden”. Marchart berichtete, dass „beachtliche Summe in die besagten Abhöraktionen“ geflossen ist und stellte fest, dass die Abhörmaßnahmen den SteuerzahlerInnen mit Stand vom April 2022 529.552 Euro gekostet haben.

Im Juni 2021 stellt das Oberlandesgericht Graz fest, dass kein Anfangsverdacht bestand, der die Razzien gerechtfertigt hätte. Im Sommer 2023 wurden die Ermittlungen gegen mehr als 40 Personen eingestellt. Der Grazer Oberstaatsanwalt Johannes Winklhofer versuchte dennoch, das Verfahren gegen 49 Personen, darunter auch Freigesprochene, um weitere zwei Jahre zu verlängern.

Von der Operation waren vor allem Hilfsorganisationen betroffen, die sich um das Wohl palästinensischer Kinder kümmern. Auch gegen Osama Abu El Hosna, der in der Nacht des Anschlags vom 2. November 2020 einem Polizisten das Leben rettete, wurde im Zuge der Operation Luxor ermittelt, weil er in einer Hilfsorganisation tätig war. Trotz seines Freispruchs wurde dem staatenlosen Abu El Hosna aufgrund der Ermittlungen im Rahmen der Operation Luxor die Staatsbürgerschaft verweigert.

Da auch Hilfsorganisationen von der Operation Luxor betroffen waren und ihre Konten während der Ermittlungen eingefroren wurden, konnten diese keine humanitäre Hilfe mehr leisten. Außerdem wurden Lehrer vom Dienst freigestellt und konnten daher mehrere Jahre lang nicht ihrer Arbeit nachgehen. Am Internationalen Tag gegen Islamophobie 2023 erklärte die muslimische Abgeordnete Faika El-Nagashi (Grüne): „Insbesondere die Operation Luxor hat dramatische Spuren innerhalb der muslimischen Communities hinterlassen“.

Eine der bekanntesten Betroffenen der Operation Luxor ist der österreichische Politikwissenschafter Farid Hafez, der vor und nach der Razzia kritische Forschungsarbeiten über die islamophobe Politik von ÖVP und FPÖ veröffentlicht hatte. Aufgrund seiner Verfolgung durch die österreichische Regierung war er gezwungen, in die Vereinigten Staaten umzusiedeln, wo er eine Professor für internationale Studien am Williams College annahm. Das Landesgericht (das die ursprüngliche rechtswidrige Razzia genehmigte) hatte ursprünglich eine Entscheidung erlassen, die die Ermittlungen gegen Professor Hafez unter Hinweis auf seine akademische Arbeit bestätigte. Laut Landesgericht Graz bezwecke Hafez’ „dessen Tätigkeit bei der Bridge-Initiative der Georgetown Universität … die Verbreitung des Kampf-Begriffs „Islamophobie” mit dem Ziel [verbreite], dadurch jede kritische Befassung mit dem Islam als Religion und insbesondere der von der Muslimbruderschaft verbreiteten politischen Ideologie des Islamismus zur Errichtung eines islamischen Staates, als rassistisches Verhalten im Sinne des Kunstbegriffs eines ‘antimuslimischen Rassismus’ oder als krankhaftes Verhalten im Sinne einer massiven Angststörung gegenüber dem Islam als Religion zu denunzieren. […] Die Begriffe ‘Islamophobie’ und ‘politischer Islam’ werden im Zusammenhang mit der Bestrebung zur Errichtung eines islamischen Parallelstaates beschrieben“. Die Ermittlungen gegen Hafez wurden schließlich im Januar 2023 vom Berufungsgericht eingestellt.

Nach den Razzien veröffentlichte ein Kollektiv von 16 zivilgesellschaftlichen Organisationen einen offenen Brief, in dem sie ihre Befürchtungen über mögliche „massive Einschränkungen der Grundrechte und Freiheiten aller Menschen in Österreich“ durch die Operation Luxor zum Ausdruck brachten. Mehrere zivilgesellschaftliche Vereine organisierten Veranstaltungen, um auf die Operation Luxor aufmerksam zu machen (u.a. ZARA gemeinsam mit SOS-Mitmensch sowie die Dokustelle Islamfeindlichkeit und anti-muslimischer Rassismus gemeinsam mit der Muslimischen Jugend Österreich). Die antirassistische Bürgerrechtsbewegung Black Voices Volksbegehren veröffentlichte ein Aufklärungsvideo zur Operation Luxor, und ein Team von KünstlerInnen organisierte zum ersten Jahrestag der Razzien eine Ausstellung zur Operation Luxor im Rahmen der Kunstveranstaltung Muslim*Contemporary.

Die Operation Luxor wurde von investigativen JournalistInnen, WissenschafterInnen, JuristInnen, PolitikerInnen und internationalen Organisationen heftig kritisiert. Im Jahr 2021 schrieb die Journalistin Anna Thalhammer von der Presse von „bröckelnden Ermittlungen“. 2022 bezeichnete der Standard-Redakteur Hans Rauscher die Razzien als „ klassische türkise Showaktion mit bisher null strafrechtlichem Ergebnis. Mit dem nunmehrigen Kanzler als Hauptdarsteller“ sowie als „gigantischen Flop“. Der Standard-Journalist Jan Michael Marchart sprach 2022 vo „einem der derzeit größten und wohl umstrittensten Verfahren in Österreich“ und 2023 von einer „erfolglosen Operation Luxor“. Anna Thalhammer bezeichnete 2023 als Chefredakteurin des Wochenmagazins Profil die Operation als „Nehammers Debakel“. Der die Ermittlungen fu4hrende Staatsanwalt Johannes Winklhofer wurde vom Chefredakteur des Wochenmagazins Falter als „Staatsanwalt außer Kontrolle“ bezeichnet, weil er ein Ermittlungsverfahren gegen „drei angesehene Muslime […] wegen Nötigung“ eingeleitet hatte, weil „sie sich gegen Terrorvorwürfe zum Teil erfolgreich mit Klagen wehren.“

Nachdem The New Yorker im März 2023 eine von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanzierte Kampagne zur gezielten Verleumdung muslimischer Personen und Organisationen in Europa aufgedeckt hatte, führten mehrere Zeitungen ihre eigenen Untersuchungen zu diesem Thema durch. In einem investigativen Beitrag für das Wochenmagazin Profil vom September 2023 stellten Stefan Melichar und die Profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer fest, dass die Netzwerke des Emirats bis nach Österreich reichen. Sie enthüllten auch, dass am 24. August 2020 ein Vertreter von Alp Services seinen Kontakt in den VAE vorab über die Operation Luxor informierte und schrieb: „Vertraulich, Österreich plant in den kommenden Monaten aggressiver gegen die lokale Muslimbruderschaft vorzugehen“, und am 9. November, als die Razzia stattfand, folgten die Worte: „ Wie Sie vielleicht gesehen und wir am 24. August geschrieben haben, führen die österreichischen Behörden derzeit eine massive Anti-Terror-Operation gegen die MB durch“, wobei der alte Name der Geheimoperation, Operation Ramses, verwendet wurde, der einige Tage vor der Razzia geändert wurde. Der ehemalige österreichische Abgeordnete (Die Grünen) und heutige Invesitgativjournalist Peter Pilz schrieb: „Justiz und Polizei haben in der aufwendigsten Aktion in der Geschichte des Verfassungsschutzes versucht, israelische und ägyptische Behörden bei ihrem Kampf gegen Muslimbrüder und Hamas zu unterstützen. In keinem Moment der mehr als einjährigen Aktion ging es um eine terroristische Bedrohung gegen Österreich.“

Das US-Außenministerium erwähnte 2021 die Operation Luxor in ihrem jährlichen International Religious Freedom Report. Amnesty International erwähnte die Operation Luxor in ihrem Bericht über Islamophobie in Europa als eine Aktion, die „Wissenschaftler und Hilfsorganisation traf“.

Im Mai 2022 strahlte der Fernsehsender Al Jazeera die Dokumentation „ Austria’s Operation Luxor: Anti-terror or Islamophobia? (Österreichs Operation Luxor: Anti-Terror oder Islamophobie?)“ aus. Im Mai 2023 strahlte Al Jazeera Arabic außerdem ein 60-minütiges Interview mit einem ehemaligen Angeklagten aus. Zahlreiche internationale Medien wie Open Democracy, Middle East Eye, TRT World, The New Yorker und Al Jazeera berichteten über die Razzia.

Georg Bürstmayr und Faika El-Nagashi, Grün-Abgeordnete des ÖVP-Regierungspartners, kritisieren den Verfassungsschutzbericht 2020: „Weder wurden die Fehler des BVT im Vorfeld des Terroranschlags erwähnt, noch die Tatsache, dass die Operation Luxor mittlerweile durch Gerichte schwer unter Kritik geraten ist.“

Nach dem Urteil des Oberlandesgerichtes Graz, das die Operation Luxor als rechtswidrig einstuft, sagte Reinhold Einwallner, SPÖ-Bereichssprecher für Innere Sicherheit: „Die Operation Luxor war die Ausrede Nehammers für das Versagen beim schrecklichen Terroranschlag in Wien. Jetzt zeigt sich, dass die Operation rechtlich wohl keine Grundlage hatte … Das Innenministerium darf nicht weiter die Showbühne der ÖVP sein. Nehammer gefährdet damit die Sicherheit Österreichs!“ Am 2. Dezember 2022 erklärte die Wiener SÖZ, dass durch die Razzien Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wie Terroristen behandelt, ihre Kinder traumatisiert und ihre Privatkonten gesperrt wurden, und stellte fest, dass das Vorgehen der Regierung von „antimuslimischen Stimmungen“ getrieben war, und forderte den „sofortigen Rücktritt der Verantwortlichen“.

Die Abgeordneten Stefanie Krisper (NEOS) und David Stögmüller (Grüne) haben die Operation Luxor immer wieder kritisch im Österreichischen Nationalrat diskutiert und parlamentarische Anfragen gestellt. Der Rechtsanwalt Richard Soyer kritisierte die Razzia und sprach davon, dass die „Unschuldsvermutung gröblich verletzt“wurde. Der Kriminologe Reinhard Kreissl sagte, die Operation Luxor sei ein „Lehrbuchbeispiel für das Regieren mit Kriminalität und Angst“. Die Strafrechtsprofessorin an der Universität Wien, Ingeborg Zerbes, sagte, die Operation Luxor habe „große rechtsstaatliche Probleme und dazu gehört Meinungsfreiheit. Und Meinungen und religiöse Ausrichtungen werden ausgedeutet als Bereitschaft zur Brutalität, die in keinem dieser Beweismittel, die angeführt wurden, zum Ausdruck gekommen sind. Im Gegenteil: Eher gewaltablehnend“. Die NGO-Aktivistin und Politikwissenschafterin Nehal Abdalla schrieb in einem Beitrag für Open Democracy, dass „die Operation Luxor der österreichischen Öffentlichkeit signalisieren sollte, dass nach dem Anschlag Maßnahmen ergriffen werden, während gleichzeitig muslimischer Aktivismus und politische Aktionen kriminalisiert werden, um muslimische Opposition in Österreich zum Schweigen zu bringen.“

Der Abgeordnete der rechtsextremen FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), Hannes Amesbauer, brachte eine parlamentarische Anfrage ein, um den von der Operation Luxor betroffenen LehrerInnen das Leben zu erschweren. Im Juli 2022 wurde bekannt, dass die Operation Luxor im Untersuchungsausschuss des Nationalrats thematisiert werden sollte, was letztlich nicht geschah. Der Nationalratspräsident und ehemalige Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) behauptete, er wisse nicht mehr, wie die Operation Luxor in den Untersuchungsausschuss zu den Korruptionsskandalen seiner eigenen Partei gekommen sei.

Farid Hafez kritisiert in seinem Buch “Wie ich zum Staatsfeind erklärt wurde. Die Operation Luxor und der Kreuzzug gegen den »politischen Islam”, dass auch viele MuslimInnen mit den staatlichen Behörden zusammengearbeitet hatten, darunter Amir Zaidan, Ednan Aslan, Ibrahim Olgun und Amir Bayati. Das Oberlandesgericht hielt aber fest, dass diese Personen lediglich basierend auf einer „Ansammlung bloßer Andeutungen, … Gerüchten und Mutmaßungen“ bestanden.

Die britische Bürgerrechtsorganisation CAGE und Act-P erstellten ein Jahr nach der Operation einen Bericht, der sich speziell mit der Verletzung der Rechte von Kindern befasste. Farid Hafez, Professor für internationale Studien am Williams College, veröffentlichte im November 2023 einen Open Access-Sammelband zur Operation Luxor und veröffentlichte im März 2024 das Buch “Wie ich zum Staatsfeind erklärt wurde. Die Operation Luxor und der Kreuzzug gegen den »politischen Islam” (Promedia Verlag).

Übersetzt und aktualisiert am 5. August 2024

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