Factsheet: Herbert Kickl
RELEVANZ: Herbert Kickl ist Parteivorsitzender der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die 2024 die Nationalratswahl gewonnen hat und von 2017 bis 2019 in der Regierung saß. Sie hat vor allem mit ihrer Islamophobie Wahlen geschlagen und Staatspolitik gemacht. Kickl hatte als langjähriger Redenschreiber großen Einfluss auf anti-muslimische Wahlkampagnen und gilt als Erfinder von Slogans wie “Daham statt Islam”. Kickl erhob gemeinsam mit Viktor Orbán die Gruppe Patrioten für Europa (PfE oder Patriots) als neue rechte und als die drittgrößte Gruppe im Europäischen Parlament aus der Taufe (2024-2029).
Im Vergleich zu anderen führenden PolitikerInnen ist öffentlich wenig bekannt über das Leben von Herbert Kickl. Die Autoren seiner Biographie mit dem Titel „Kickl und die Zerstörung Europas“ (Zsolnay Verlag, 2024), Gernot Bauer and Robert Treichler, beschreiben Kickl als Kind, das aus einer Arbeiterfamilie stammt. Kickl wuchs im Bundesland Kärnten auf. Er brach sein Studium der Philosophie an der Universität ab, nachdem er Jörg Haider in den 1990er Jahren kennenlernte, welcher Kickl für die FPÖ rekrutierte. Von da an arbeitete Kickl sich innerhalb der Partei an die Spitze.
Kickl hatte mehrere Positionen innerhalb der FPÖ inne. Von 2002 bis 2006 war er der Generalsekretär der Freiheitlichen Bildungseinrichtung, deren Präsident er 2016 wurde. Von 2005 bis 2018 war er Generalsekretär der FPÖ. Er leitete die Bundeswahlkämpfe der Partei 2006, 2008, 2013 und 2017. Kickls war der Erfinder evrschiedener islamophober Slogans wie etwa „Daham statt Islam“ und „Mehr Mut für unser Wiener Blut“. Von 2006 bis 2017 und danach wieder seit 2019 war er Mitglied des Nationalrats, dem wichtigsten gesetzgebenden Organ. Von 2017 bis 2019 während der Koalition mit der ÖVP unter Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache war Kickl Innenminister.
Nachdem Kurz 2019 in Folge des Ibiza Skandals Neuwahlen ausrief und Strache aus der FPÖ ausschied, wurde die FPÖ von einer Doppelführung unter Kickl und Norbert Hofer geführt. Im Juli 2021 wurde Kickl zum neuen und alleinigen Parteiobmann der FPÖ gewählt. Die Nachrichtenagentur Reuters nannte Kickl einen “Hardliner”. Das Nachrichtenmagazin Politico beschrieb ihn als einen „hageren, niederträchtigeren Steve Bannon“ und „Mastermind hinter dem Aufstieg einer von Europas stärksten populistischen Parteien zur Macht“.
2024 berichtete Reuters, dass Kickl 2010 dagegenhielt, Hitlers Waffen-SS kollektiv der Kriegsverbrechen zu bezichtigen. Der erste FPÖ–Obmann im Jahre 1955 war ein ehemaliger SS-Offizier. Liam Hoare schrieb im August 2023 in Newsline Magazine, dass Kickl ein ähnliches Vokabular benutzte wie die Nazis in den 1930 Jahren. Kickl verwendet Begriffe wie Volkskanzler und Systemparteien.
Kickl beschrieb die rechte und islamophobe Identitäre Bewegung als eine „NGO von rechts“. Der langjährige Kopf der Identitären Bewegung Martin Sellner hatte Kontakte zu dem Attentäter von Christchurch, der 51 Menschenleben auslöschte.
Kickl hat eine lange Geschichte von anti-muslimischer Agitation. Im Dezember 2009 argumentierte er im Zusammenhang mit der Schweizer Debatte zu einem Minarettverbot, „dass Minarette nichts mit der Freiheit der Religionsausübung zu tun hätten, sondern nur das äußerliche Symbol des islamischen Machtanspruches seien“. Während der Koalition der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) meinte Kickl im März 2017: „Das Kopftuch hat in Kindergärten, in Schulen und auch an den Universitäten nichts verloren“. Auf den deutschen Philosophen Immanuel Kant bezugnehmend meinte er: „Genau dieser Verstand wird negiert, wenn wir in Europa akzeptieren wollen, dass eine mittelalterliche bzw. politisch motivierte Religionsauslegung hier plötzlich wieder Platz greift. Dementsprechend ist das Kopftuch, das ja neben den beschriebenen Diskriminierungen auch als Symbol für politischen Machtanspruch Gültigkeit besitzt, in Österreich völlig fehl am Platz“.
Bereits 2006 meinte Kickl: „Ganz im Gegenteil wäre ein Kopftuchverbot in Schulen und allen öffentlichen Instituten nach französischem Vorbild jetzt Gebot der Stunde“. Im Dezember 2009 wiederholte Kickl diese Forderung: „Kopftuchverbot in Schulen und im öffentlichen Dienst ist ein Gebot der Stunde, um unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit entstehende Parallelgesellschaften in Österreich zu verhindern“. Kurz vor der Nationalratswahl 2024 sprach sich Kickl für ein vollständiges „Verbot des Kopftuches im öffentlichen Raum“ aus.
Im Jänner 2010 meinte Kickl in Folge der französischen Debatte zum Gesichtsschleierverbot: „Die Burka läuft den europäischen Grundwerten als auch der Gleichberechtigung von Mann und Frau zuwider und ist zudem vor allem ein politisches Symbol. Diese Anpassungsverweigerung wird sich noch weiter verstärken, wenn nicht entsprechend durch Maßnahmen auf die Erhaltung der eigenen Interessen, Traditionen und Werte Bedacht genommen wird. Denn schon heute gibt es unübersehbare Tendenzen hin zu Parallelgesellschaften in Österreichs Städten. SPÖ und ÖVP, die sich bisher hinter multikulturellem Pseudoliberalismus und falsch verstandener Toleranz versteckt haben, sollten auch in diesem Punkt nicht wieder warten, bis es zu spät ist“
2015 forderte Kickl von der sozialdemokratischen Ministerin für Familie und Jugend, Zahlungen an die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) sofort zu stoppen und zu prüfen, warum diese Gelder erhielten. 2019 reagierte Kickl auf Studienergebnisse des Österreichischen Integrationsfonds über muslimische Jugendliche mit der Forderung nach härteren Einwanderungsgesetzen und verbreitete dabei anti-muslimische Stereotype. Er sagte: „Bevor wir allerdings Unsummen an Geld verschwenden, um diesen Menschen unsere Werte näherzubringen, was ohnedies selten gelingt, sollte in diesen Gruppen, die ja fast ausschließlich über Asylverfahren in Österreich gelandet sind, schnellstens die weitere Berechtigung zum Aufenthalt überprüft werden“. Weiters meinte er: “Wir müssen verhindern, dass der Hass und die Gewalt, die viele von diesen Menschen nach Österreich bringen, schon bald andere zur Flucht aus Österreich zwingen”.
Im June 2018 während seiner Zeit als Innenminister ließ Kickl sieben Moscheen schließen und 60 Imame ausweisen. Die Regierung nannte dies “nur den Anfang” des Kampfes gegen den “politischen Islam” und auslandsfinanzierter muslimischer Einrichtungen. Das Außenministerium der Vereinigten Staaten von Amerika erwähnte Kickl zweimal in ihrem Report on International Religious Freedom in Austria aus dem Jahr 2018: “Am 11. Dezember verabschiedete das Parlament eine Änderung des bestehenden Gesetzes zum Verbot bestimmter Symbole, einschließlich der Symbole von ISIS und Al-Qaida nahestehenden Gruppen. Mit der Änderung, die im März 2019 in Kraft treten soll, wurde das Verbot auf Symbole anderer Gruppen ausgedehnt, die die Regierung als extremistisch einstuft, darunter die Muslimbruderschaft. Innenminister Herbert Kickl sagte, das Gesetz sei ein klares Zeichen für die Null-Toleranz-Politik des Landes gegenüber extremistischen Gruppen, einschließlich solcher, die sich zum religiösen Extremismus bekennen. … Am 19. November veranstaltete Innenminister Kickl im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft eine Konferenz über Werte, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit als Reaktion auf antisemitische Bedrohungen. Kickl warnte vor ‚der neuen Intensität antisemitischer Bedrohungen in Europa … ausgelöst durch den politischen Islam‘ und versprach, den Schutz jüdischer Einrichtungen im Land auszubauen.”
2021 zeigte die Tageszeitung Die Presse auf, dass während Kickls Zeit als Innenminister eine Arbeitsgruppe zur Beobachtungen angeblicher Mitglieder der Muslimbruderschaft errichtet wurde, die auch Minderjährige inkludierte. Beamte des Inlandsgeheimdienstes Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT, heute DSN, Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst), legten daraufhin ihr Amt zurück. Im Artikel heißt es, dass das Bundesamt für Kriminalschutz Ermittlungen aufnahm, nachdem Beamte ihren Vorgesetzten meldeten. Die Anhörung vor Gericht war nicht öffentlich, aber relevant, da die Operation Luxor, die größte rechtswidrige und rassistische Polizeioperation in der Zweiten Republik, die sich gegen angebliche Mitglieder der Muslimbruderschaft richtete, kurz nach Einsetzung dieser Arbeitsgruppe begann.
Kurz nachdem Kickl das Innenminsiterium übernahm, ordnete Kickl eine Razzia gegen seinen eigenen Inlandsgeheimdienst BVT an, um das aus seiner Sicht geheime Netzwerk bestehend aus ÖVP-Loyalisten auszuhebeln. Als Innenminister hinterfragte er auch die Gültigkeit der Europäischen Flüchtlingskonvention.
Wenige Monate nach Beginn der COVID-Pandemie im Jahre 2020 meinte Kickl, dass „Islamistische Fundamentalisten sofort abzuschieben“ seien. Und weiter: „Statt die Österreicher mit absurden Corona-Maßnahmen zu schikanieren, sollte sich die Regierung mit den tatsächlichen Lebensgefährdern auseinandersetzen, nämlich mit Integrationsverweigerern und Hasspredigern in den Moscheen“. Nachdem die Regierung bestehend aus ÖVP und Grünen eine Debatte zur Kriminalisierung des politischen Islams diskutierten, meinte Kickl: „Einzige scharfe Waffe gegen den politischen Islam ist ein Verbotsgesetz“.
Kickl spricht regelmäßig gegen „das System“, das für seine Biographen Gernot Bauer und Robert Treichler so zu verstehen ist, dass er die Verfassung, internationale Abkommen und Menschenrechte infrage stellt. Als Kickl den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen als eine „senile“ „Mumie“ bezeichnete, leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein.
Obwohl die Republik Österreich den politischen Islam 2021 zu einem Straftatbestand erklärte, meinte Kickl im August 2024, dass die “Ablehnung des Verbots des politischen Islam durch Systemparteien beschämend” sei. Vor der Nationalratswahl 2024 forderte Kickl ein Kopftuchverbot “im öffentlichen Raum”.
Im Juli 2024 wurde die FPÖ im Zuge der Wahlen zum Europäischen Parlament unter der Führung von Herbert Kickl erstmals in ihrer Geschichte die stärkste Kraft. Sie erhielt 25.36 % der Stimmen und konnte damit sechs Vertreter als Abgeordnete des Europäischen Parlaments nach Brüssel entsenden. Vor der Nationalratswahl im September 2024 lag die FPÖ monatelang in den Umfragen in Führung. Der konservative Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schloss wiederholte Male eine Koalition mit Kickl aus: “Es ist unmöglich, eine Regierung mit jemandem zu bilden, der Verschwörungstheorien anbetet, der die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, als die nächste Weltregierung bezeichnet und das Wirtschaftsforum in Davos als Vorbereitung auf die Weltherrschaft”.
Wie die Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch und Diana Hofmann schreiben, behält die FPÖ unter Kickl weiterhin ihren Pro-Putin-Kurs bei, auch nach der Annektierung der Krim 2014.
Auf europäischer Ebene verlautbarte Kickl im Juli 2024 gemeinsam mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán und dem tschechischen Premierminister Andrej Babis die Gründung der neuen rechten Parlamentsgruppe im Europäischen Parlament mit dem Namen ‘Patrioten für Europa‘ (PfE oder Patriots).’ Seither sind fünf weitere Parteien wie etwa die niederländische Partei für Freiheit (PVV), die portugiesische Chega Partei, die spanische Vox und die französische Rassemblement National dem Bündnis beigetreten. Die Patrioten für Europa stellt die drittstärkste Partei im Europäischen Parlament von 2024 bis 2029 dar.
Unter Herbert Kickl wurde die FPÖ die stärkste Kraft bei den Europaratswahlen im Juli 2024 und bei der Nationalratswahl im September 2024.
German translation of original: https://bridge.georgetown.edu/research/factsheet-herbert-kickl/